Teigherstellung Kamps GmbH

In der Kamps-Produktionsstätte in Schwalmtal wird vieles händisch erledigt.

Brotlaibe

Schritt für Schritt, Schnitt für Schnitt.

„Wir sind und bleiben eine Handwerksbäckerei“, betont Rainer Wirsen, Direktor Produktion und Logistik bei der Kamps GmbH, beim Rundgang durch die Produktionsstätte im nordrhein-westfälischen Schwalmtal. „Vieles wird hier händisch erledigt, das ist teilweise Knochenarbeit.“ Beim Blick durch die weiträumige Backhalle mit Teigknetmaschinen, Gärschränken, Kühlzellen, Teigteilern und Öfen, zwischen denen die Beschäftigten hin und her wuseln, fällt auf: Die Teigkessel sind hier zwar größer als in den meisten Backbetrieben, jedoch erleichtern viele Maschinen manchen Arbeitsschritt und machen die gewünschten Mengen erst möglich – schließlich wollen rund 350 Bäckereien und Bäckereifilialen sowie mehr als 80 Aldi-Nord-Standorte versorgt werden. Pro Jahr werden hier bis zu 35 Millionen frische Brötchen, Brote und Feinbackwaren in zahlreichen Varianten und 130 Millionen Tiefkühlprodukte hergestellt. Dabei legen die 150 Beschäftigten tatsächlich permanent selbst Hand an.

Handarbeit mit Risiken

Im Wiegebereich mischt Daniel Maslanka gerade die Hauptzutaten für das Mehrkornbrötchen – im großen Maßstab. Er manövriert einen rollenden Bottich nacheinander unter mehrere Silos, die mit verschiedenen Mehlen befüllt sind. Streng nach Rezept füllt der Bäcker die entsprechenden Mengen in den großen Edelstahlkessel. Anschließend gibt er weitere Zutaten wie Margarine oder Hefe in den Bottich, ehe er diesen ein paar Meter weiterrollt und direkt unter einem Spiralkneter parkt. Diese Maschine verarbeitet die Zutaten zu rund 200 Kilogramm Brötchenteig. Mal bleibt dabei großes Stück Margarine an der Kante des sich drehenden Bottichs hängen, mal klebt ein Teil des Teigs am Kesselrand fest, mal versucht jemand, den Spiralkneter im laufenden Betrieb zu reinigen.

Solche Geschichten kennen die BGN-Aufsichtspersonen Georg Kaiser und Stefan Weber, die bei der Betriebsführung dabei sind, zur Genüge. „Bäcker arbeiten viel mit den Händen. Leider fassen manche im Eifer des Gefechts auch mal irgendwo hinein, wo man das nicht tun sollte“, sagt Georg Kaiser. Auch Verbrennungen kämen regelmäßig vor, zudem Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle. „Um das zu ändern, müssen alle wissen, wo Gefährdungen für sie selbst oder für andere sind und wie man diese vermeidet. Dabei hilft ein Arbeitsschutzmanagementsystem.“

Porträt Rainer Wirsen

Stillstand ist Rückschritt – das gilt auch für den Arbeitsschutz.

21 Arbeitsunfälle sind 21 zu viel

Die Kamps GmbH zählte 2018 – bei rund 340 Beschäftigten in Produktion, Verwaltung, Vertrieb und Außendienst – insgesamt 21 Arbeitsunfälle. „Das sind genau 21 zu viel“, sagt Rainer Wirsen, der erst später ins Unternehmen kam. „Arbeitssicherheit war hier in der Vergangenheit zwar schon lange gelebte Praxis, aber jede Abteilung hat ihr eigenes Süppchen gekocht. Das Vorgehen war nicht einheitlich und nicht systematisch, man hat nicht aus den Fehlern anderer gelernt.“ Als BGN-Experte Georg Kaiser Anfang 2022 den Vorschlag machte, die BGN könne bei der Einführung eines Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) unterstützen, stieß er auf offene Ohren. „Die Vorteile eines AMS kannte ich schon aus anderen Branchen“, sagt Rainer Wirsen. „Überzeugungsarbeit war nicht notwendig.“

Begleitet von der BGN machte sich die Kamps GmbH auf den Weg, ein AMS einzuführen – als bislang einzige Bäckerei in Deutschland. Die zuständige Aufsichtsperson Georg Kaiser beantragte das Begutachtungsverfahren bei der BGN, während sich auf der anderen Seite die Geschäftsführung, der Betriebsrat sowie die externe Fachkraft für Arbeitssicherheit schriftlich zur Implementierung eines AMS verpflichteten. Im weiteren Verlauf sei „von oben bis unten jede Person im Unternehmen – mal mehr, mal weniger“ an dem Prozess beteiligt gewesen, bestätigt Rainer Wirsen. „Das ist auch richtig so“, weiß Georg Kaiser. „Das Thema betrifft alle und muss zudem ganz oben als eines der Unternehmensziele angesiedelt sein, um effektiv umgesetzt zu werden.“

Standortbestimmung im Arbeitsschutz

Schritt eins war im Frühjahr 2022 eine Bestandsaufnahme: Gemeinsam mit der BGN stellte die Kamps GmbH fest, wo mit Blick auf den Arbeitsschutz Nachbesserungen nötig sind, um sich für die angepeilte Zertifizierung „Sicher mit System“ fit zu machen. Welche Normen sind zu erfüllen? Welche Dokumente müssen vorhanden, welche Abläufe implementiert sein? Wie ist der Status quo? Wo gibt es Lücken? „Manche Unternehmen beginnen diesen Prozess bei null“, sagt BGN-Experte Georg Kaiser. „Hier lief es anders, die Abteilung Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement war bereits gut aufgestellt.“

Das Lob für die günstige Ausgangslage gilt dem Team um Carolin Deckers, Leiterin Qualitätssicherung bei der Kamps GmbH. Sie hatten schon zuvor die Zertifizierungen für Qualität und Sicherheit im Lebensmittelbereich (IFS Global Markets Food) und für Qualitätsmanagement (ISO 9001) erreicht sowie das Energiemanagement (ISO 50001) unterstützt. „Wir konnten auf vieles zurückgreifen, was die AMS-Einführung vereinfacht hat“, sagt Carolin Deckers. „Die Herausforderung war eher, die vorhandenen Dinge zusammenzuführen und punktuell zu ergänzen.“ Beispielsweise überarbeitete man gemeinsam mit der externen Fachkraft für Arbeitssicherheit Frank Simon den Ablauf zur Unfalldokumentation, um eine planmäßige Erfassung und Auswertung der Unfalldaten zu ermöglichen. „Das ist nur ein Beispiel dafür, wie das Unternehmen mithilfe eines AMS transparente Prozesse im Arbeitsschutz schaffen und die Verantwortlichkeiten festlegen kann“, sagt Frank Simon vom ACU Ingenieurbüro GbR. „So lassen sich arbeitsschutzrelevante Aufgabenstellungen systematischer und schneller abarbeiten.“

Porträt Georg Kaiser

Bei der Haupt­begut­achtung überzeugt sich ein BGN-Experte davon, dass das Arbeits­schutz­mana­gement­sys­tem nicht nur auf dem Papier existiert, sondern im Betriebsalltag gelebt wird.

Generalprobe und Abschlussprüfung

Ob die zu Beginn des AMS-Einführungsverfahrens festgestellten Lücken im Arbeitsschutz systematisch geschlossen wurden, prüft die BGN an zwei Terminen. „Im August fand hier die Vorbegutachtung statt“, sagt BGN-Aufsichtsperson Georg Kaiser. Diese Generalprobe zeigt beiden Seiten, wo es womöglich noch hakt. „Später prüft ein BGN-Experte bei der Hauptbegutachtung stichprobenartig, ob die notwendigen Veränderungen umgesetzt wurden“, erklärt Georg Kaiser. „Wir überzeugen uns davon, dass das Arbeitsschutzmanagementsystem nicht nur auf dem Papier existiert, sondern im Betriebsalltag gelebt wird.“ Dieser Abschlusstermin fand bei der Kamps GmbH im Dezember 2022 statt, weniger als ein Jahr nach dem Startschuss. Ein unvoreingenommener BGN-Hauptbegutachter, der das Unternehmen zuvor noch nie besucht hatte, überprüfte dessen Strukturen in Sachen Arbeitsschutz, die Vollständigkeit der Dokumente, ob Schulungen und Unterweisungen regelmäßig stattfinden, ob die Beschäftigten das Gelernte anwenden können und vieles mehr.

„Wir haben bei der Hauptbegutachtung beispielsweise auch dargelegt, wie wir nun mit Unfällen und Beinaheunfällen umgehen“, sagt Carolin Deckers. Wie erfolgt die Dokumentation? Wie die Ursachenforschung? Wie fließen die Erkenntnisse in die Gefährdungsbeurteilung ein? „Wir konnten belegen, dass das Ganze jetzt einen stimmigen Kreislauf ergibt – inklusive Korrekturmaßnahmen und eines Verbesserungswesens, das nun zum Wohle aller Beschäftigten systematisch umgesetzt wird“, sagt die Leiterin Qualitätssicherung.

Stikkenwagen Backstube
„Wir alle profitieren vom Arbeitsschutzmanagementsystem“, sagt Ofenführer Pascal Schudel.
Backwaren auf Stikkenwagen
Niemand wolle sich bei der Arbeit verletzen.
Teigwaren auf Stikkenwagen
Und das klappe umso besser, ...
Stikkenwagen in Backstube
„... wenn jeder über die Gefahren Bescheid weiß“, betont Pascal Schudel, der auch Sicherheitsbeauftragter bei der Kamps GmbH ist.

Manche mögen’s heiß

Weiter geht’s durch die Produktionsstätte, dorthin, wo die Temperaturen steigen. Dort manövriert Ofenführer Pascal Schudel einen Fuhrpark mit Stikkenwagen, spezielle Rollwagen für mehrere übereinander eingehängte Backbleche, zwischen mannshohen Öfen. Jeder Wagen transportiert mehrere Dutzend Bleche, voll beladen mit allerlei Feinbackwaren wie Apfeltaschen, Mohnstriezeln, Quarkplunder, Zwetschgenkuchen oder Kirschstangen. „Ich bediene im Moment 14 Stikkenöfen gleichzeitig“, sagt er und schiebt einen mit Apfelriemenkuchen voll beladenen Wagen mittig in einen leeren Ofen.

„Der Stikkenwagen muss im Boden einrasten, damit er beim Backvorgang rotieren kann.“ Neben jeder Ofentür zeigt ein digitales Display an, welches Produkt im Inneren bei welcher Temperatur gebacken wird und wie lange der Vorgang noch dauert. „Ich arbeite gerne hier, aber Handschuhe sind ganz wichtig wegen der Hitze“, betont Pascal Schudel. „Außerdem muss man dem Arbeitsgerät jederzeit vertrauen können.“ In seinem früheren Berufsleben ist ihm ein Stikkenwagen beim Herausfahren aus dem Ofen zusammengebrochen. „Reflexartig wollte ich eines der Bleche abfangen, dabei ist das passiert“, sagt er und zeigt auf seine Unterarme, die von Brandnarben gezeichnet sind. „Um so etwas zu vermeiden, müssen die Wagen regelmäßig geprüft werden. Fällt uns zwischendurch etwas auf, müssen wir das sofort melden.“ Pascal Schudel ist auch Sicherheitsbeauftragter, deswegen weiß er das neu eingeführte Arbeitsschutzmanagementsystem besonders zu schätzen. „Wir alle profitieren davon, niemand will sich bei der Arbeit verletzen“, sagt der Ofenführer. „Das klappt umso besser, wenn jeder über die Gefahren Bescheid weiß.“

Porträt Carlin Deckers

Wir konnten belegen, dass das Arbeits­schutz­management­sys­tem einen stimmigen Kreislauf ergibt – inklusive Korrekturmaßnahmen und eines Verbesserungswesens.

Ein Zertifikat, viele Vorteile

„Arbeitsschutz hat in unserem Hause selbstverständlich Tradition und ist jetzt auch von der BGN zertifiziert“, freut sich auch Marc Heidolph, Senior Manager Marketing und Kommunikation bei der Kamps GmbH. Durch das Siegel „Sicher mit System“ für gelebten und dokumentierten Arbeitsschutz könne das Unternehmen nun nachweisen, dass es sich auch in diesem Bereich strengen Kriterien unterwirft und sich ständig weiterentwickelt. „Dieser Arbeitsschutzstandard kann auch beim Werben um Fachpersonal ein starkes Argument sein, mit dem wir uns von Mitbewerbern absetzen können.“ Das ist mehr als ein positiver Nebeneffekt in Hochzeiten des Fachkräftemangels.

Also: Ziel erreicht, Projekt beendet? Rainer Wirsen schüttelt entschieden den Kopf. „Zwei meldepflichtige Arbeitsunfälle pro Jahr sind immer noch zwei zu viel“, betont der Direktor Produktion und Logistik. „Wir sind also noch nicht am Ziel, haben aber einen sehr guten Weg eingeschlagen.“ Außerdem gilt das BGN-Zertifikat nicht bis in alle Ewigkeit, sondern für drei Jahre. Dann steht eine Überprüfung in der Nachbegutachtung an. „Das ist kein Problem, sondern gut so. Wir behalten die Ziele und Anforderungen kontinuierlich im Blick“, sagt Rainer Wirsen. „Denn Stillstand ist Rückschritt, das gilt auch für den Arbeitsschutz.“

BGN-Zertifikat "Sicher mit System" Kamps GmbH

Ausgezeichneter Arbeitsschutz: Die BGN-Aufsichtspersonen Georg Kaiser (links) und Stefan Weber (rechts) überreichen das Zertifikat „Sicher mit System“ an Rainer Wirsen und Carolin Deckers von der Kamps GmbH.

„Das neue Arbeitsschutzmanagementsystem ist ein klares Zeichen an unsere Belegschaft, dass das Unternehmen Kamps die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten als ein Unternehmensziel definiert hat. Die größte Herausforderung war es, ein gemeinsames Bewusstsein für die Vorteile zu schaffen, viele Prozesse neu zu denken und umzugestalten. Der Aufwand hat sich gelohnt: Durch das AMS ist der Stellenwert des Arbeitsschutzes deutlich gestiegen, das zeigt sich konkret auch an signifikant reduzierten Unfallzahlen und Ausfallzeiten. Weitere Pluspunkte sind beispielsweise gestraffte Prozessabläufe, eine erhöhte Mitarbeitermotivation, entlastete Führungskräfte und ein gesteigertes Vertrauen bei der Kundschaft.“